Inflation im Sinkflug: Baldiger Kurswechsel der EZB?


Heute wurden die vorläufigen Inflationsdaten für den Mai in der Eurozone veröffentlicht: In Deutschland fiel der Verbraucherpreisindex im 12-Monatsvergleich um 1,1 % auf einen Wert von nun 6,1 %. Der HVPI (Harmonisierter Verbraucherpreisindex) für den europäischen Vergleich liegt bei 6,3 %. Insbesondere die Inflationsraten für Energie und Nahrungsmittel sind aufgrund des Basiseffektes gefallen: Im April stiegen die Energiepreise noch um 6,8 % und die Nahrungsmittelpreise um 17,2 %, im Mai lediglich noch um 2,6 % und 14,9 %. Auch in anderen Ländern sank die Inflation deutlich, sodass die Rate in Frankreich bei 6 % und in Spanien nur noch bei 3,2 % liegt. Damit ist der Höhepunkt der Inflationswelle in der Eurozone (10,6 % im Oktober 2022) in weite Ferne gerückt. Nun stellt sich für den Finanzmarkt die Frage, wann die EZB die Leitzinserhöhungen beendet und es wird spekuliert, ob sie Ende 2023 oder Anfang 2024 sogar erste Zinssenkungen ankündigt? Daher lohnt sich ein Blick auf die wesentlichen Punkte, die für die EZB entscheidend sein werden.

Inflationserwartung der Bürger, Profit-Preis-Spirale und Preispolitik der Unternehmen

Ein sehr wichtiger Faktor, den die „Falken“ der EZB immer wieder ansprechen, ist die sog. Kerninflation, d.h. die Inflationsrate ohne Berücksichtigung von schwankenden Energie- und Lebensmittelpreise. Diese Inflation wird maßgeblich von den Lohnkosten und der Preispolitik der Unternehmen beeinflusst. Die Bruttolöhne in Deutschland sind im ersten Quartal 2023 um 5,6 % gestiegen. Dies ist im Vergleich zu den letzten 15 Jahren ein sehr hoher Wert. Jedoch wird er relativiert, da die Inflation im selben Zeitraum bei 8,3 % lag und der wesentliche Treiber in der Auszahlung der Inflationsprämie lag. Es wird in den nächsten Monaten von hoher Bedeutung sein, ob die höheren Einnahmen direkt in den Konsum fließen und damit die Unternehmen ermutigen, ihre Preise aufgrund der höheren Nachfrage auch ohne große Kostensteigerung anzuheben. Diese Profit-Preis-Spirale ist in den letzten Monaten immer mehr in den Blickpunkt der EZB und der Ökonomen geraten. Die Quartalsergebnisse der Aktiengesellschaften mit überraschend hohen Gewinnmargen verstärken diesen Eindruck. Gleichzeitig wird sich auch die altbekannte Lohn-Preis-Spirale weiterdrehen. Die aktuellen Lohnerhöhungen könnten im Umfeld eines starken Arbeitsmarktes mit Fachkräftemangel in einigen Branchen erst der Anfang eines längeren Trends sein. Bei den Gehaltsforderungen der Arbeitnehmer spielen die Inflationserwartungen eine wichtige Rolle. Die EZB hat also die Aufgabe, sowohl die Inflationserwartungen der Bürger zu senken, als auch die Profitgier der Unternehmen zu zügeln.

Entwicklung der Weltwirtschaft

Die Talfahrt der Rohstoffpreise, insbesondere der Energiepreise, wird von der Abschwächung der Weltwirtschaft getrieben. Die Situation in China wurde von vielen „Finanzexperten“ am Markt falsch eingeschätzt. Anstatt eines rasanten Wirtschaftsaufschwungs nach den jahrelangen Lockdown-Phasen sieht der Markt eher eine langsame, unausgewogene Aufschwungsphase. Während die Dienstleistungsunternehmen, insbesondere die Reisebranche von Nachholeffekten profitieren, steckt das verarbeitende Gewerbe ähnlich wie in den USA oder Deutschland in einer Rezession. Dabei ist hervorzuheben, dass die Chinesen ein Großteil ihres Vermögens in Immobilien investiert haben und somit der schwache Immobilienmarkt ein großer Bremsklotz für die gesamte Wirtschaft darstellt. Es bleibt abzuwarten, ob die staatlichen Investitionsprogramme den Immobilienmarkt nachhaltig stützen können. Auch die Konjunktur in den USA und in Europa dürfte in den nächsten Monaten nicht wirklich an Fahrt gewinnen, da sich die massiven Zinserhöhungen der EZB und der Fed immer mehr in der Realwirtschaft bemerkbar machen dürften. Die aktuellen Daten zu den Geldmengen und der Kreditvergabe geben schon einen klaren Hinweis darauf, in welche Richtung sich die Wirtschaft mittelfristig bewegen wird. 

USA: Fed-Politik und Risiken im Bankensektor

Die Fed war mit ihrer Geldpolitik in den letzten Jahren der Vorreiter der Geldpolitik für die EZB. Die erste Zinserhöhung fand bereits im März 2022 statt, während die EZB noch bis zum Juli wartete. Momentan erwartet der Markt noch eine kleine Leitzinserhöhung der Fed auf eine der beiden nächsten Sitzungen. Ob diese wirklich noch kommt, bleibt abzuwarten. Der Zinszyklus ist auf jeden Fall dem Ende sehr nahe. Entscheidend wird also sein, wie die Fed den weiteren Verlauf der Zinsen sieht: Werden sie entschlossen die Inflationsbekämpfung fortführen, d.h. die Zinsen bis zum Jahresende auf einem Niveau über 5 % halten und den Bilanzabbau mit ca. 80 Mrd. $ pro Monat laufen lassen oder knicken sie bei steigender Rezessionsgefahr und erhöhtem politischen Druck vorzeitig ein? Die EZB wird auf jeden Fall das Vorgehen der Fed im Auge behalten und ihre eigene Politik daran anpassen.

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